Utes Texte




An der Grenze

"Your Passport", sagt er nicht, sondern gibt es ihm, dem Einreisewilligen, mit einem abschätzenden Blick zu verstehen. Der amerikanische Grenzschutzbeamte sitzt hinter einer dicken, wahrscheinlich kugelsicheren Glasscheibe, in einem verbarrikadierten Kasten.
"How are you doing. Tell me, what' s your name?" fragt er in gekünstelter, serviceorientierter Art. "My name is Wolfgang," antwortet der Reisende. Er nimmt Wolfgangs Pass und lehnt sich erst mal genüsslich auf seinem knarrenden Drehstuhl zurück. Wippt leise vor und zurück.
Er zieht seinen stakkato geschnittenen Schnauzbart bis tief unter seine Nase, seine Barthaare müssten ihn eigentlich kitzeln. Es scheint, als rümpfe der Beamte seine Nase über den Pass von Wolfgang. Die Informationen , die er beim Blättern durch die einzelnen Seiten erhält, riechen, schmecken ihm nicht. Hier ist Achtung geboten. Ein Pass hat viele Seiten, und dieser Pass hat noch dazu viele Eintragungen auf seinen Seiten! Der Beamte richtet sich mit einem Ruck kerzengerade auf.

Jetzt hat er den Stempel aus dem Iran entdeckt. Vor vier Jahren hatte Wolfgang seinen Freund begleitet, der Pilot ist und ihn auf einem planmäßigen Flug mal mitgenommen hatte.
Wolfgang schaut den Beamten unbefangen an (er ist innerlich sogar belustigt, denn damit hat er gerechnet).

"Was haben sie da gemacht? Wieso waren sie nur zwei Tage da? Als Tourist geht man mit einer Reisegruppe dahin, mit welcher Reisegruppe waren sie da?" Die Fragen prasseln auf englisch auf ihn ein. "Kommen Sie mal mit", der Grenzer steht auf, verlässt seinen Posten, die ganzen Menschen in der langen Warteschlange hinter ihm (sie sind in einer B747 gekommen, mit ca. 400 Plätzen) glauben, ihren Augen nicht zu trauen. Ein Murren geht durch die Reihe.

Er nimmt Wolfgang am Ellbogen und zieht ihn in einen kleinen kahlen, schäbigen, abgenutzten Raum. Nur ein Stuhl steht darin. Er deutet ihm an, sich zu setzen.

"Was haben sie im Iran gemacht? Haben sie in Deutschland Kontakt zu Iranern oder anderen arabischen Personen?"
Wolfgang erzählt seine Story, dass er mit einem Piloten befreundet ist, der ihn einfach für zwei Tage mitgenommen hat. Die will ihm der Beamte nicht abnehmen. "Sie arbeiten bei einer Airline? Ach, ihr Freund. Sie fliegen viel in arabische Länder, wie ich sehe, Sharjah, Abu Dhabi, was machen sie da?"
Er sagt nur, er fliege mit Freunden mit, die dienstlich dorthin fliegen, er schaue sich die Städte an, die Hotelunterkünfte seien preisgünstig und er fliege günstig, Last-Minute-Tarif. Der Beamte glaubt ihm offensichtlich nicht, dass er einfach aus Spaß in der Gegend rumfliegt.

Es kommt ein zweiter Grenzbeamter herein, der die ganzen Fragen noch mal stellt. Seine Fragen sind jetzt bereits ein Verhör. Er agiert furcheinflössend, beugt sich über Wolfgang, stemmt sich auf die Rückenlehne seines kargen Stuhles, klemmt ihn regelrecht ein zwischen seinen Armen, hat fast seine Stirn an seiner. Der Mann auf dem Stuhl beginnt zu schwitzen, der Raum ist klein und von ihrer beider Atem bereits aufgeheizt. Wolfgang stellt sich vor, dass hier Beobachtungskameras laufen, die seine Reaktion und seine Antworten aufzeichnen. Jetzt bloß nichts anderes erzählen als bei den Fragen des ersten Beamten. Dieses Verhör beginnt ihn zu nerven. Mann, Junge, mach mal halblang, ich reise nur aus Spass, o.k. ich habe Interesse an der orientalischen Kultur, gehe gern zu einer Bauchtanz-Show und so. Was soll ich mit Arabern? Wie, ob ich einen Anschlag plane? "Ha, ha." Laut lacht Wolfgang bei diesem Gedanken. Meint der das im Ernst ?

Der meint das im Ernst.

Der Beamte ruft über sein Funkgerät zwei weitere Grenzschutzbeamte, mit Pistolen im Halfter, die ihn durch endlose Korridore in einen anderen Raum führen, ja ihn regelrecht vor sich her schieben, fast schubsen. Dieses Zimmer ist etwas größer als das erste, sämtliche Wände verspiegelt.
'So, jetzt sitz ich ja voll drin. Hätte ich mir bloß das Ha,ha, verkniffen.'
Wolfgang sitzt auf einem kleinen Stuhl ohne Armlehnen, ohne Rückenlehne.
Ein kahler Tisch steht vor ihm, daran sitzt der Verhörleiter, drei Beamte stehen um ihn herum. ‚Jetzt kein falsches Wort sagen. Was habe ich bei den Fragen vorhin geantwortet? Bleib bei deinen Aussagen.' Stakkatoartig prasseln jetzt die Fragen auf ihn ein,
wie im besten amerikanischen Krimi. Nur das dies kein Krimi ist, sondern eine ganz normale Einreise in die Vereinigten Staaten von Amerika nach dem 11. September.
Hätte ich bloß nicht so eine große Schnauze gehabt, als meine Freundin zu Hause erwähnte, dass ich Probleme bei der Einreise bekommen könnte. Da passiert schon nichts, den Stempel kann man fast nicht mehr erkennen, hatte ich geantwortet. Außerdem will ich ja nur zwei Tage bleiben, eine geschäftliche Besprechung, und dann geht's zurück.

Jetzt sitze ich hier, weil ich gelacht habe. Haben sie einen Anschlag geplant, welche Kontakte haben sie zu Arabern , immer wieder das gleiche. Er ist schweißgebadet, hinter seinen Schläfen pocht das Blut, sein linkes Auge fängt an zu zucken. Das hatte er schon lang nicht mehr. Er reibt sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn, seine Haare sind nass. Er rückt seine Brille zurecht, die beginnt, von seinem Schweiß und der Feuchtigkeit der vielen Menschen in dem kleinen stickigen Raum anzulaufen.

Schließlich ziehen die Beamten sich zur Beratung zurück. Er atmet auf, endlich Ruhe, endlich ein leichter Hauch frischer Luft durch das Öffnen der Tür. Gleich werden sie hereinkommen und ihm seinen Pass wiedergeben. ‚Sie haben jetzt sicher eingesehen, dass ich nur ein normaler Touri bin.'
Sie kommen wieder herein. "Sie werden nicht in die Vereinigten Staaten einreisen, wir werden sie mit dem nächsten Flug nach Frankfurt zurückschicken. Sie bleiben solange in diesem Raum, bis wir sie zum Abflug ihrer Maschine bringen." Die beiden anderen Beamten drehen ihn mit dem Gesicht zur Wand, Hände hoch, durchsuchen ihn von oben bis unten, nehmen ihm Handy, Portemonnaie und alle Papiere ab. "Sie werden ihre persönlichen Dinge zurückbekommen, sobald sie in der Maschine nach Frankfurt sitzen," sagt der Beamte noch, dann verlassen sie ohne weitere Worte den Raum.

Eine Stunde später wird er in Handschellen abgeführt und auf einen Sitz in die gleiche Maschine gebracht, mit der er von Frankfurt hergeflogen ist. Sie geben ihm seine Papiere zurück, sein Handy und öffnen die Handschellen.
Er sitzt im Flugzeug. Muss sich anschnallen. Sie verlassen das Flugzeug erst, als die Türen geschlossen werden.

Sobald sie das Flugzeug verlassen haben, schaltet er sein Handy ein und ruft eine Nummer an: "Operation LAX abblasen."

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